Frau Anders

Ich habe eine Nachbarin.
Gewiss, jeder hat das irgendwie. Vielleicht auch bloss einen Nachbarn.
Aber wie gesagt, ich habe eine Nachbarin. Die ist, wie soll ich sagen, anders. Jeder sollte das sein, da haben Sie recht. Aber die ist doch etwas andersartiger. – Vielleicht bin auch ich es, die von anderer Art ist.
Wenn ich so nachdenke, könnte dies ebenso der Fall sein. – Aber wenn wir annehmen, dass jeder nur das Beste von sich selbst denkt, dann ist sie es wiederum, die (Sie ahnen es schon) anders ist.
Also.
Diese Nachbarin, die hat einen Mann. Hatte einen. Sie sind jetzt getrennt. In einem Quartier unter Familien, Jugend-WGs und Einzelgängern, waren sie auch da. Zu Dritt. Lange Zeit. Alles schien normal. So normal, wie ein Familienleben sein kann. Jeder interpretiert das anders.
Eben.
Da haben wir es.

Und nun, war er weg. Sein Parkplatz neben uns in der Tiefgarage steht leer. Ob ich denn das nicht bemerkt hätte? Erstaunt sie sich ob meiner Ahnungslosigkeit. Nein, jeder gehe mitunter auf Geschäftsreisen. Meine ich. Da liege ich falsch.

Seitdem kreuzen sich unsere Wege nicht mehr so häufig. Ich nehme es nicht persönlich.

Wie das Leben spielt, kurz darauf die zweite Familie, bei deren sich die Eltern für getrennte Wege entscheiden. Dann (Achtung Überraschung) ein feucht fröhlicher Frauenabend das Dating Verhalten der Gastgeberin (ihres Zeichens Mutter, Ehefrau und Nachbarin) offenbart. Sie kennen den Film ‚Das Fenster zum Hof‘? Das wichtige hierbei ist der Innenhof, selbsterklärend. Heisse Sommernächte tragen solche Geheimnisse ein Leichtes in fremde Wände, notgedrungen. Und jetzt beginnt die eigentliche Geschichte.

Zwischen der nun anderen Nachbarin und der Gastgeberin, da gibt es noch eine Frau. Nicht sinnbildlich gesprochen, tatsächlich wohnen die drei Damen nebeneinander. Sie haben richtig bemerkt. Wir befinden uns in einer Überbauung (Stichwort Innenhof!). Alle Drei eine Parterrewohnung ihr Eigen nennen.  Wobei die besagte Gastgeberin, ganz aussen Rechts, zur Miete ist.

Die dritte Frau nun, die in der Mitte, sich seit längerer Zeit schon von ihrem Lebenspartner getrennt hat und aktuell wieder auf der Suche nach einem Mann ist. Sie tummelt auf irgendwelchen Dating Plattformen, fortschrittlich und ohne unnütze Aufwände, bequem vom Sofa aus mit einem Gläschen Prosecco nebenstehend.

Ohne grosse Aufregung, sollte man meinen, bis zu dem Augenblick, der alles in den Schatten stellt.

Es meldet sich einer.

Wohl nicht der Einzige. Aber Derjenige, der bleibenden Eindruck hinterlässt.

Es ist ihr Nachbar.
– Wohlgemerkt der Mann der Gastgeberin und somit der Übernachbar der Andersartigen. –

Kleiner Einschub: zu diesem Zeitpunkt hat der Gesellschaftsabend unter Frauen noch nicht stattgefunden und die lauen Sommernächte sind voller Unschuld.

Die Mittlere, die Liebessuchende, erwischt es also eiskalt auf ihrem Sofa. Dem ist generell nichts entgegen zu setzen, bedenkt man die Hitze. Aber es erwischt sie in der Art, in der sie sich gewünscht hätte, niemals ein Konto eröffnet zu haben. (Natürlich sprechen wir hier nicht von einem Bankkonto.) Wir wissen nicht genau wie, aber auf jeden Fall hat sie sich rechtzeitig und unbemerkt absetzen können.

Glücklicherweise, für beide Parteien.
– Denn wir gehen nicht davon aus, dass er im vollen Bewusstsein seine Nachbarin anschreibt. –

Fassungslos und perplex, emotional total entrückt, wendet sich die bis dato tiefen entspannte Proseccodrinkerin sogleich links. Links über die Gartenmauer, munkelnd zur anderen Nachbarin. Augen und Ohren maximal geweitet, diese wiederum das Gehörte vorerst nicht einordnen kann und/oder unverhofft sich unter Gleichgesinnten wiederfindet, gleichermassen schockiert wie erlöst, nicht alleine zu sein mit andersartigen Erfahrungen und Gesellschaftsnormen.

Wie gesagt, es ist heiss dieser Tage. Sehr heiss. Über 30°C. Die Vegetation ist am dürsten. Voller Hoffnung versuche ich mittels eines Wasserschlauchs das verbleibende Grün zu benetzen. Die letzten Tropfen sind gefallen, der Schlauch umständlich aufgewickelt, ich unverhofft nachbarschaftliche Anteilnahme erfahre.

– Sie erinnern sich, seit Wochen das erste Gespräch überhaupt. –

Sie müsse mir was anvertrauen.

Oha.

Ja, denn sie sei anders verwirrt. Folgendes müsse man sich vorstellen.

Ok.

Ihre Nachbarin, also die Dating-Queen, sei wieder einmal auf der virtuellen Liebeshochebene unterwegs gewesen, als diese von ihm kontaktiert wurde.

Von wem?

Von ihm, dem Nachbarn eben, von ihrer Nachbarin, ergo der Übernachbar der etwas Anderen und mein Gegenübernachbar (mal so am Rande erwähnt).

Falls die letzten Tropfen nicht schon verdampft, dann sind sie es bestimmt jetzt. Ob es sich dabei nicht um einen Irrtum gehandelt haben könnte, eventuell? Ausgeschlossen. Gut. Ich solle aber nichts weitersagen. Denn man wisse ja nicht, ob seine Frau, also unsere aller Irgendwie-Nachbarin überhaupt etwas davon wüsste.

Aha!

Ich habe es schon erwähnt, es ist heiss dieser Tage. Die Fenster werden spätabends geöffnet, in der leisen Hoffnung, Kühlung zu widerfahren. Ebenso stehen irgendwelche Crashed-Iced Drinks hoch im Kurs. Wie später die Tage, mit dem besagten Festlaune-Abend. Da wurde es zur Gewissheit. Seine Frau weiss Bescheid.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie ist jetzt nicht unbedingt über seine virtuellen Aktivitäten im Bilde (besser is‘ nicht). Zumindest aber beide gleichzeitig aus dem Hafen der Ehe auslaufen, was wohl einer stillschweigenden Vereinbarung gleichkommt.

Beruhigend, denn das entspannt das nachbarschaftliche Verhältnis enorm. Wenn nämlich aus lauter sozialen Gepflogenheiten unsereins sich der Nachbarin gegenüber verpflichtet fühlt, beim zufälligen Kreuzen um ihr Wohlergehen zu erkundigen, im alleinigen Wissen, dass ihr Mann fremd schnuppert, dies als eher angespannt bezeichnet werden kann.

Ebenso entspannt es hier meine Lage als Berichtende, denn so steht der Weitergebung der Ereignisse nichts mehr im Wege.

Gemäss Frau Anders.

photo by Raul Juarez

12 Gedanken zu “Frau Anders

  1. Also sooo klein, habe ich die Schweiz gar nicht in Erinnerung 😉.
    Was Hitze so alles auslöst…. die Story war spannend. Gut, dass alles abgeklärt war, bevor auch wir hier am Geschehen teilhaben durften.😉
    PS: bei Dir weiß man nie, was man zu lesen bekommt. Das ist richtig klasse!

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